(pha). Abzuwarten, bis es immer öfter zu Eskalationen komme, sei ein häufiger Fehler, den Bürger und Kommunen im Umgang mit Rechtsextremen machten. Deshalb freute sich der Soziologe Helge von Horn vom Beratungsnetzwerk Hessen über das große Interesse an der ersten Veranstaltung der neugegründeten Echzeller Bürgerinitiative „Grätsche gegen Rechtsaußen“.
Die Bürgerinitiative habe sich unter anderem gegründet, um den Ausbau „des Stützpunktes einer ultrarechten Gruppierung“ zu verhindern, heißt es im BI-Flyer. Dass so schnell reagiert wurde und der Vortrag zum Thema Rechtsextremismus am Mittwoch im Saal „Zum Stern“ von so vielen Bürgern, Vereinsvertretern, Vertretern der Kirchen und der Kommunalpolitik besucht wurde, hält der Soziologe für ein gutes Zeichen. „Oft reagieren die Bürger erst, wenn es zu schweren Eskalationen gekommen ist. Dann ist es aber umso schwerer, etwas gegen die Extremisten zu tun.“
Wie Olivia Bickerle von der Bürgerinitiative berichtete, hätten einige Mitglieder der ultrarechten Gruppe versucht, in den Saal zu kommen. Zuvor hätten sie angekündigt, den Laden „aufzumischen“, sagte Bickerle. So fand der Vortrag unter den Augen der herbeigerufenen Polizei statt, die auch in diesem Bereich Streife fuhr. Die Interessengemeinschaft bedankte sich ausdrücklich für die Unterstützung durch die Gemeinde und die Polizei.
Das Bild der Rechtsextremisten nach außen habe sich in den vergangenen zehn Jahren verändert, berichtete der Soziologe von Horn. Es seien längst nicht mehr die Männer in Bomberjacken, hohen Schnürstiefeln und Glatze, die mit Baseballschlägern durch die Straßen liefen. Trotzdem zogen einige Personen im hinteren Bereich des Saales die Blicke auf sich. Sahen sie doch genauso aus, wie man sich den typischen Rechtsextremen vorstellt. Doch war genau das Gegenteil der Fall. Es waren Bekannte des Dozenten, die später im Gespräch erklärten: „Nicht alle Skinheads sind Rechtsextremisten. Doch die, die es sind, machen unseren Ruf kaputt.“
Die alte Weisheit „Kleider machen Leute“ lässt sich in diesem Bereich nicht mehr anwenden. Wie Demonstrationen bewiesen, trügen Rechtsextreme heute sogar Kleidung, die man früher Autonomen zuordnete, wie etwa das Palästinenser-Tuch. Auch die Parolen würde man auf den ersten Blick eher den Linken zuordnen. Das gesamte äußere Bild und die Vorgehensweise seien komplizierter geworden, so von Horn.
Der Soziologe vermittelte im Laufe seines Vortrages ein Bild der Rechtsextremisten, das dazu aufforderte, heute wachsamer denn je zu sein. Gerade weil sie nicht mehr so offensichtlich zu erkennen seien, müsse man sich mehr mit der Szene beschäftigen. Die rechte Szene besitze eigene Musik- und Modenamen. Aus Unwissenheit habe eine große Kaufhauskette Kleidung des Herstellers „Thor Steinar“ kurzfristig ins Sortiment aufgenommen, berichtete von Horn. Des weiteren wies er auf die Modemarke „Consdaple“ hin, in deren Namen sich die Abkürzung NSDAP verstecke. In einschlägigen Tattoo-Studios ließen sich die Anhänger der rechten Szene oft Symbole stechen, wie etwa Runen, die „Schwarze Sonne“ oder Zahlen wie „88“ (zweimal der achte Buchstabe des Alphabets: HH für Heil Hitler) oder die „18“ (der erste und achte Buchstabe des Alphabets für Adolf Hitler). Auch hier mahnte von Horn jedoch wieder, dass nicht alle Runen gleich mit Rechtsextremismus in Verbindung zu bringen seien. So sei etwa „Thors Hammer“ auf fast jedem Mittelaltermarkt zu finden. Viel wichtiger seien die eigenen Bekleidungsgeschäfte und Tattoo-Studios aber als Kommunikationszentralen für die Szene. In Sachen Kommunikation seien die Rechtsextremisten ebenfalls auf dem neuesten Stand der Technik. Dabei spiele mittlerweile auch das Internet eine sehr große Rolle. Es gebe inzwischen sogar Single-Börsen der Rechten im Internet. Diese seien für Außenstehende auf den ersten Blick nicht zu erkennen, da jeder Hinweis in Schrift oder Symbolik fehle. Warum Single-Börsen so wichtig seien, erklärte der Soziologe damit, dass ein neuer Partner der häufigste Grund dafür sei, dass Mitglieder der Szene ausstiegen.
Neue Taktik Auch hob von Horn die neue Taktik der Rechtsextremsten hervor, sich durch Spenden für Vereine und wohltätige Zwecke beliebt zu machen und sich auch in Vereinsvorstände wählen zu lassen. Säßen sie fest im Sattel, würden sie ihre wahre Gesinnung bekannt geben und hofften darauf, dass die Mitbürger sie weiter gewähren ließen mit der Begründung: „Er ist zwar ein Rechter, aber er macht doch seine Arbeit gut.“
Als „Einstiegsdroge“ bezeichnete von Horn die Musik der rechten Szene, die oft als kostenlose Schulhof-CD in Massen verteilt würde. Nach ersten Erfahrungen mit der Indizierung seien auch hier die Texte weniger eindeutig geworden, um strafrechtlich keinen Ansatzpunkt zu bieten. Die Rechtsextremen zielten hierbei besonders auf die Zwölfbis 14-Jährigen, erklärte der Dozent.
Eine der rechten Szene nahestehende Partei, die NPD, habe ein Durchschnittsalter der Mitglieder von 25 Jahren, sei also weit entfernt von einer Altherren-Partei. Diese Verjüngung sei eine Folge der Wende 1989. Allerdings sei Rechtsextremismus kein Problem der neuen Bundesländer. Umfragen hätten ergeben, dass die Ausländerfeindlichkeit in Ostdeutschland öfter zu finden sei, Antisemitismus dagegen in Westdeutschland häufiger auftrete. Insgesamt würden nach Untersuchungen etwa acht bis zehn Prozent der deutschen Bevölkerung dem rechtsextremen Gedankengut nahestehen und daraus könne die Szene ihre Mitglieder schöpfen.
Für die besorgten Eltern hatte von Horn nur den Rat, die Augen offen zu halten, die Kinder und ihren Umgang zu beobachten und auch zu diskutieren. Die Argumente der Rechten seien unlogisch und leicht auszuhebeln. Man müsse es nur tun, riet von Horn.
Der Wetteraukreis sei in Hessen ein „kleiner rechtsextremer Leuchtturm“, mahnte Helge von Horn eingangs. Dagegen wolle die Bürgerinitiative „Grätsche gegen Rechtsaußen“ in Echzell etwas tun und lade alle Bürger ein, mitzumachen. Ansprechpartnerin ist Petra Köhler-Nau. Sie ist montags und mittwochs von 20 bis 22 Uhr und freitags von 9.30 bis 12 Uhr unter der Telefonnummer 0151/1958858 oder per EMail nettenachbarn@yahoo.de zu erreichen.
© Kreis-Anzeiger 2010
*Um den Pressebericht ansehen zu können muss der Adobe Reader auf Ihrem System installiert sein.