Manfred Linss hat den wahrscheinlich neuen Bundespräsidenten bei der Gedenkveranstaltung für Opfer rechter Gewalt getroffen
Den bald ersten Mann im Staate kennt Manfred Linss persönlich: Der Vize-Vorsitzende des Vereins »Grätsche gegen Rechtsaußen« hat mit Joachim Gauck in Berlin bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt gesprochen. »Es stimmt: Deutschland bekommt einen Bürger zum Präsidenten«, schwärmt der Echzeller. Gauck habe eine sehr ausgeprägte Ausstrahlung und könne Mennschen in seinen Bann ziehen. »Der Mann strahlt so viel Autorität und Lebenserfahrung aus, dass er sogar Verwundbarkeiten zeigen kann.«
Besonders freut Linss, dass Gauck die »Grätsche« schon gekannt habe, wohl über die evangelische Kirche, mit der auch der Echzeller Verein zusammenarbeitet. Einen Flyer habe er ihm trotzdem gegeben. »und ich bin sicher: Er schaut ihn auch an«, sagte Linss gestern der WZ.
Wie er an die Einladung – noch von Christian Wulff – gekommen ist, weiß Linss selber nicht genau. »Vielleicht, weil wir bei einem Wettbewerb des Bündnisses für Demokratie und Toleranz gewonnen haben.« Es seien bewusst zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für Demokratie einsetzen, nach Berlin eingeladen worden. »Bei denen hat sich Kanzlerin Angela Merkel in Ihrer Rede auch explizit bedankt«, erzählt Linss.
Urprünglich wollte Linss, der schon am Mittwochnachmittag in die Hauptstadt aufgebrochen war, den Kontakt zu Christian Wulff suchen. »Er finde es gut, wie er sich für die Verteidigung der Demokratie eingesetzt hat. Es gab vorher keinen Präsidenten, der derart aktiv ist.« Die Einladung nach Berlin galt nur für Linss, mitkommen durfte keiner seiner Mitstreiter. Das kann der Echzeller im Nachhinein auch verstehen:» Es war eine so große und abgeschirmte Veranstaltung. Wir mussten zwei Sicherheitszonen durchlaufen.« Dafür hatte er eine extra Einlasskarte erhalten. Die Grätsche-T-Shirts mussten draußen bleiben, weil Taschen nicht erlaubt waren. Nur die Flyer gab Linss nicht aus der Hand. Während der Gedenkfeier, die der Echzeller als sehr »würdevolle Veranstaltung« beschreibt, stand er oben auf den Rängen. Zwar weit vorne, aber doch so weit vom Geschehen entfernt, dass er Schausplielerin Iris Berben, die Texte rezitierte, nur an der Stimme erkannte.
Danach habe er, auf der Suche nach einem Fotomotiv rund ums Konzerthaus am Gendarmenmarkt, Gauck entdeckt. »Auf diese Gelegenheit hatte ich gehofft, und dreist wie ich bin, bin ich nach der Schweigeminute hin. Mir war wichtig, nicht plump zu wirken und nicht aufdringlich zu sein.« Er habe Gauck auf dessen Aufforderung der Bürger angesprochen, Verantwortung für Freiheit und Demokratie zu übernehmen. »Ich habe gesagt: Ich bin einer von denen, die genau das tun.« Baff sei er gewesen, als Gauck erwiderte, er kenne die Grätsche. An den genauen Wortlaut kann Linss sich nicht erinnern, sinngemäß habe Gauck gesagt, er würdige, was Menschen in zivilgesellschaftlichen Orgenisationen für die Gesellschaft tun.
War er nervös? »Nein, das kam erst hinterher, obwohl ich ein emotionaler Mensch bin und ziemlich schnell aufgeregt«, sagt Linss. »Mein Gedanke in diesem Moment war nur: Wie kann Ich mit ihm in Kontakt treten in einer Art und Weise, die in Ordnung ist?« Viele Menschen hätten sich um Gauck gedrängt, wohl auch weil er noch nicht so gesichert gewesen sei wie später bestimmt als Bundespräsident.
»Gauck hat sich viel mit den Menschen dort unterhalten«, blickt Linss zurück. »Ich hatte auch bei der Gedenkfeier den Eindruck, er geht als normaler Bürger hin. In der ersten Reihe saß er meiner Meinung nach nur, weil er bei den Angehörigen sein wollte.«
Linss betont, es sei toll, dass der wahrscheinlich neue Bundespräsident nicht aus der Politik kommt. »Er soll ja schließlich auch die Bürger repräsentieren und nicht die Politik. Er hoffe, dass Gauck Einfluss nehmen werde auf die Politik. »Er wird bestimmt auch mal unbequem sein, aber das ist wichtig. Auch die Grätsche ist unbequem, Gauck rüge, immer mehr Menschen wollten nicht nachdenken und keine Verantwortung übernehmen. Das findet auch Linss. »Es kostet Mühe, sich Gedanken zu machen, aber mich treibt das Thema Demokratie an.« Er sei froh, »dass wir bald einen Präsidenten haben, dessen oberste Ziele Freiheit und Demokratie sind«. Denn nur, wenn das gewährleistet sei, könne das Zusammenleben auch funktionieren
© Wetterauer Zeitung 25.02.2012