Bürgermeister: Mietvertrag hat sich nicht auflösen lassen — Anwalt des »Schlitzers« wünscht sich mehr Gelassenheit
(sax/dab). Trotz der Intervention von Ortsvorsteher Robert Preusser ist gestern das umstrittene Tattoo-Studio in Düdelsheim eröffnet worden. Bürgermeister Erich Spamer berichtete, einer der Eigentümer des Geschäfts habe ihm mitgeteilt, dass der Mietvertrag sich nicht habe auflösen lassen. Gemietet hat den jahrelang leerstehenden Laden ein 25-Jähriger aus Gettenau, der von der Polizei als rechtsextrem eingestuft wird. Sein Szenename: »Schlitzer«.
Die Ansiedlung des Tätowierladens war vor allem wegen der Ereignisse in dessen Umfeld in die Diskussion geraten. In Gettenau, wo der junge Mann auf seinem eigenen Hof ein Tattoo-Studio betreibt und auch lebt, sind der 25-Jährige und seine Besucher schon mehrfach mit der Nachbarschaft aneinandergeraten. Die Ereignisse hatten letztlich dazu geführt, dass sich die Bürgerinitiative »Grätsche gegen Rechtsaußen« gründete, die inzwischen ein Verein ist. Jüngst wurde der »Schlitzer« wegen gefährlicher Körperverletzung zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt; außerdem wird gegen ihn wegen des Verdachts der Volksverhetzung ermittelt. Obwohl die Polizei den Gettenauer dem rechtsextremen Spektrum zuordnet, sieht sie hinter der Körperverletzung keinen politischen Hintergrund. Der Vorfall sei vielmehr ein Streit unter Nachbarn gewesen. Auf der anderen Seite bereitet das Umfeld des. Tattoo-Studios den Beamten durchaus Sorge. Der Gettenauer selbst sei wiederholt wegen Körperverletzungen aufgefallen. Auch Ruhestörungen und Auseinandersetzungen mit den Nachbarn habe es gegeben.
»Die Polizei gießt Benzin ins Feuer«
»Das finde ich von der Polizei Benzin ins Feuer gegossen«, nimmt der Anwalt des »Schlitzers«, Jürgen Häller, seinen Mandanten in Schutz. »Wie lange soll sich einer zur Verantwortung ziehen lassen?« Der 25-Jährige habe ihm berichtet, sowohl in Gettenau als auch zuvor in Wölfersheim habe er seine Tätowierläden ohne Beanstandungen betrieben. »Aus der Vergangenheit gibt es nach meinem Kenntnisstand keinen Hinweis darauf, dass der Tattoo-Laden Ausgang für eine Auseinandersetzung war«, erklärt Häller. »Mein Mandant wird alles versuchen, in Düdelsheim ein angenehmes Klima der Nachbarschaft aufzubauen«.
Daran zweifelt die Antifaschistische Bildungsinitiative (Antifa-BI). »Das ist in unseren Augen eine tickende Zeitbombe«, kommentiert ein Mitglied die unmittelbare Nachbarschaft des Tattoo-Studios zu einem Döner-Imbiss und einer Kampfsport-Schule. Die Ansiedlung des Gettenauers in Düdelsheim sieht er als Teil einer Entwicklung, die sich schon länger vollzieht. »Was wir hier mit Erschrecken feststellen, ist, dass wir ein riesiges rechtsextremes Netzwerk in der Wetterau haben.«
Büdingen nehme dabei eine Schlüsselrolle ein. Es entwickele sich »zum organisatorischen Zentrum der NPD in der Wetterau«, erklärt der Vertreter der Antifa-BI. Das belege die Ansiedlung führender Köpfe der Partei, wie deren Landesgeschäftsführer, des Stadtverordneten Daniel Lachmann. Auch die NPD-Veranstaltung im Januar und die Vorfälle, die sie begleiteten, seien Zeichen dieses Netzwerks. Mehrfach seien Mitglieder des Stammtischs des »Schlitzers« durch die Stadt gefahren und hätten den Hitlergruß gezeigt. Schließlich seien sie festgenommen worden. Dem 25-Jährigen dürfte der Vergleich wohl nicht gefallen: im Gespräch mit der WZ hatte er sich vor geraumer Zeit deutlich von der NPD distanziert.
Anwalt Häller stellt die Geschäftseröffnung seines Mandanten als Versuch dar, eine Existenz zu gründen und sein eigenes Einkommen zu erwirtschaften. In der Vergangenheit sei ihm dies nicht gelungen, da der ‚politische Druck auf die Vermieter dazu geführt habe, dass Verträge gekündigt wurden. Auch ihm als Anwalt sei es nicht gelungen, eine Vermittlung zu erreichen.
Auch in Düdelsheim sei man dafür nicht aufgeschlossen gewesen. »Ich habe der Gegenseite Gespräche angeboten«, berichtet Häller, »ich will Ihnen gar nicht sagen, was für Briefe ich bekommen habe.« Trotz der Ablehnung sei der Mietvertrag aber in Kraft getreten, sein Mandant habe seine Verpflichtungen erfüllt. »Ich denke, man sollte es einfach mal beobachten«, wünscht sich Häller mehr Gelassenheit.
»Bei Beschwerden schauen wir verstärkt hin«
Dafür, dass der »Schlitzer« seine Kunden nicht nur im rechtsextremen Spektrum sucht, spricht die Gestaltung des Ladens mit zwei großen Schaufenstern. Dahinter sind vor allem weiße Wände und eine Theke zu sehen. An einer Wand steht in großen violetten Buchstaben »Crazy Paint« mit einem großen Farbklecks.
Bei der Eröffnung waren gestern Mittag rund zehn, meist jugendliche Gäste in dem Tattoo-Studio. Den Frisuren und der Kleidung nach zu urteilen, sind sie dem bisherigen Umfeld des Gettenauers zuzurechnen. »Ich bin gespannt, was da passiert«, sagt Bürgermeister Spamer. Besondere Maßnahmen gebe es jedoch nicht. »Ich darf ihn nicht anders behandeln als andere auch«, betont er. Aber »wenn Beschwerden kommen, werden wir da verstärkt hingucken«.
© Wetterauer Zeitung 05.02.2011